Digitale Architekturmodelle und ihre Rolle in der Residenzenforschung (Forschungsschwerpunkt)

Aus Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte
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(Stephan Hoppe, LMU München)

Zu den ersten und sofort prominenten digitalen Rekonstruktionsprojekten der Architekturgeschichte gehörte um 1989 die von einem Team um Prof. Manfred Koob an der TU Darmstadt geleitete Visualisierung der in der Französischen Revolution auf Abbruch verkauften mittellaterlichen Abteikirche von Cluny (Bericht, Pressespiegel). Erst später traten auch später veränderte oder gar zerstörte Schlossbauten, Burgen oder für die Öffentlichkeit eingeschränkt zugängliche Paläste hinzu.

Ein zugleich eindrucksvolles wie aufwändiges Visualisierungsprojekt war 1998 die Animation des diplomatischen Zeremonialweges im Inneren des Vatikanischen Palastes in Rom im Rahmen der Bonner Ausstellung zur Renaissance in Rom Pressespiegel. Heute ist dieser damals im Ausstellungsgebäude gezeigte und durch Mitarbeiter live erläuterte Film schon kaum noch greifbar. Es ist an der Zeit, diese neue Präsentationsgattung wissenschaftlich zu dokumentieren, historisch zu erforschen und als Mediasphäre mit eigener Theorie und Praxis zu analysieren.

An der LMU München konnte seit etwa 2011 ein kunsthistorischer Forschungsschwerpunkt zu digitalen Architekturmodellen (3D, 4D) mit dem besonderen Fokus auf ihren Eigenheiten und Einsatzpotentialen im Zusammenhang mit dem interdisziplinären und epochenübergreifenden Feld der Residenzenforschung (Court Studies) entwickelt werden.

Federführend ist hier die Professur für Bayerische Kunstgeschichte an der LMU (Stephan Hoppe). Ohne das Engagement von immer mehr Nachwuchwissenschaflerinnen und Nachwuchwissenschaftlern und ohne verschiedene sehr fruchtbare und lebendige Kooperationen mit Kollegen und Institutionen außerhalb der LMU wäre dies aber nicht gelungen. Der neue Forschungsschwerpunkt steht auch in einem engem fruchtbaren wechselseitigen Zusammenhang mit den programmatischen Aktivitäten zur digitalen Kunstgeschichte am Münchener Institut für Kunstgeschichte (siehe hier) und der neu gegründeten überregionalen und interdisziplinären Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion.


Lutteroth Magisterarbeit zu Aachen 2012 Filmstill.jpg

(Die Königspfalz zu Aachen, digitale Visualisierung der Befunde von Jan Lutteroth, von Stephan Hoppe betreute Magisterarbeit LMU 2012)


Wie es begann

Am allerersten, inzwischen schon recht fernen Anfang stand für diesen sowohl architekturhistorisch als auch digital geprägten Forschungsschwerpunkt in seiner Münchener Ausprägung die wissenschaftliche Mitarbeit von Stephan Hoppe in dem von dem Kunsthistoriker Prof. Dr. Norbert Nußbaum und dem Informatiker Prof. Dr. Ernst-Erich Doberkat 1997 - 1999 initiierten und geleiteten sogenannten Altenberg-Projekt an der damaligen Universität Dortmund, in dessen Rahmen ein digitales 3D-Modell des gotischen Altenberger Domes im Bergischen Land zu didaktischen Zwecken entworfen und realisiert wurde.


Virtuelles Modell Altenberger Dom Foto SHoppe 2005.jpg

3D-Vorführung des vituellen Modells des Altenberger Domes, das im Rahmen des Altenberg-Projektes an der Uni Dortmund entstanden ist. Universität zu Köln. Foto: Stephan Hoppe 2005


Auch bei dem Altenberg-Projekt war es also wie bei Cluny um Manfred Koob noch ein mittellaterliches Sakralgebäude, das die Aufmerksamkeit im Kontext der neuen Technologie auf sich zog. Siehe zu den dort entwickelten digitalen Ansätzen die beiden Veröffentlichungen zum einen in der Kunstchronik (hier) und zum anderen in dem heute bereits als Klassiker seiner Art zu bezeichnenenden Darmstädter Tagungsband: Frings, Marcus (Hrsg.): Der Modelle Tugend. CAD und die neuen Räume der Kunstgeschichte. Weimar 2001 (hier). Zudem sei natürlich auf die viel umfangreicheren kunsthistorischen Publikation von Norbert Nußbaum zu diesem bedeutenden und interessanten Bau der Gotik im Mitteleuropa hingewiesen.


Im Rahmen des Altenberg-Projektes konnten an der Fakukltät für Bauwesen der (damaligen) Universität Dortmund ab 1998 mehrere Seminare zu einschlägigen digitalen Themnen angeboten werden:

  • im SoSe 1998: Stephan Hoppe zusammen mit dem Multimedia-Designer Axel Schuch: Multimediatechniken in der Baugeschichte
  • im WS 1998/1999: Stephan Hoppe: Darstellung architektonischen Raumes – Geschichte und aktuelle Methoden im WS 1998/1999 zusammen mit dem Multimedia-Designer Axel Schuch
  • im SoSe 1999: Stephan Hoppe: Experimentelle Architekturgeschichte – Visualisierung und Autopsie architekturgeschichtlicher Problemstellungen mittels CAD (der Titel wurde in Anlehnung an die Begriffsbildung von Hubertus Günther gewählt)

Integration in die kunsthistorische Lehre

2011 und 2012 konnten, vor allem durch die Unterstützung von Prof. Dr. Krista De Jonge (Löwen) als Chair des ESF Research Networks PALATIUM, zwei einschlägige internationale Workshops zum Thema in Löwen und an der LMU München organisiert werden, die den Zusammenhang zur Residenzenforschung im Programm führten und in München auf ein vor allem kunsthistorisch vorgebildetes Publikum trafen:

  • Virtual Palaces, Part I. Digitizing and Modelling Palaces, das Programm und Zusammenfassungen sind online hier zu finden.
  • Virtual Palaces, Part II. Lost Palaces and their Afterlife. Virtual Reconstruction between Science and Media, das Programm und Zusammenfassungen sind online hier zu finden.

(beide Tagungspublikationen sind als eBooks für Mitte 2015 geplant)


München Tagung Virtual Palaces II Nr 3813 mit ixus SHoppe2012.JPG

Impression aus dem Vortrag von M. Rykl (Prag) 2012 in München


Zeitgleich konnte in München die kunsthistorische (unveröffentlichte) Magisterarbeit von Jan Lutteroth betreut, in der unter Einsatz von CAD-Techniken die Forschungs- und Rekonstruktionsgeschichte zur Aachener Königspfalz kritisch und vergleichend thematisiert wird.

Aus der Magisterarbeit entstand dann 2012 ein Promotionsvorhaben von Jan Lutteroth, in dem ein digitales Stadtmodell zur Untersuchung ausgewählter, raumbezogener Phänomene der frühneuzeitlichen Residenzstadt München verwendet wird: Die Residenzstadt München in der frühen Neuzeit. Ihre räumlich-funktionale Entwicklung und Strategien zu ihrer 4D-Visualisierung (Arbeitstitel)


2012 hat Heike Messemer unter der Betreuung von Stephan Hoppe eine Dissertation zum Thema Typologie und Genese digitaler Architekturmodelle begonnen. Heike Messemer wurde zuvor am kunsthistorischen Institut mit einer Arbeit zum renaissancezeitlichen Stadtmodell von Straubing magistriert, das der Drechslermeister Jakob Sandtner 1568 angefertigt hat (Betreuung: Pfisterer/Hoppe).


Ebenfalls 2012 konnte das Korreferat für die inzwischen 2014 sehr erfolgreich abgeschlossene Dresdner Dissertation von Sander Münster (Abteilungsleiter Mediendesign im Medienzentrum der TU Dresden) (Erstgutachter: Prof. Dr. Thomas Köhler, TU Dresden) übernommen werden: "Interdisziplinäre Kooperation bei der Erstellung virtueller geschichtswissenschaftlicher 3D-Rekonstruktionen". Vgl. dazu:

Interview im Mai 2012: Was können 3D-Visualisierungen leisten?

Video eines Vortrages von Sander Münster am 30. November 2013 auf dem Studientag „Kunstgeschichte im digitalen Zeitalter – Studientag zur Digitalen Kunstgeschichte für Doktorandinnen und Doktoranden“ in München.

Aufsatz Münster 2011: Entstehungs- und Verwendungskontexte von 3D-CAD-Modellen in den Geschichtswissenschaften

weitere Aktivitäten

2013 wurde eine Kooperation mit Dr. Ing. Marc Grellert (Architektur, TU Darmstadt; Architectura Virtualis, Darmstadt) und Dr. Mieke Pfarr-Harfst (Architektin, Architectura Virtualis, Darmstadt) vereinbart, u.a. mit dem Ziel, ein Medienarchiv für Digitale Modelle historischer Architektur aufzubauen.

Am 16. Juli 2013 hat Dr. Marc Grellert in München zum Thema Architektur und Erinnerung im digitalen Zeitalter. Synagogen in Deutschland einen öffentlichen Vortrag gehalten. Näheres siehe hier.

Teilnahme Hoppe, Lutterroth und Messemer an dem 1. Arbeitstreffen der AG Digitale Rekonstruktion (AGDR) am 21.11.2014 an der Technischen Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Informations- und Kommunikationstechnologie in der Architektur. Details.

Am 16. Dezember 2014 hat Dr. Piotr Kuroczyński in München über Digitale Rekonstruktionen in Virtuellen Forschungsumgebungen – Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze gesprochen. Näheres siehe hier.

Teilnahme Hoppe, Lutterroth und Messemer an dem 2. Arbeitstreffen der AG Digitale Rekonstruktion (AGDR) im Rahmen der 2. Jahreskonferenz der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum an der Universität Graz am 27.02.2015 Details


Hingewiesen sei an dieser Stelle schon auf das 3. Arbeitstreffen der AGDR auf dem Schlossberg zu Marburg am 11.09.2015, 9-18 Uhr. Ort: Herder-Institut, Marburg Details


Literaturhinweise

Noch im Entstehen begriffen ist eine Liste digitaler Modelle historischer Architektur. Es sei ausdrücklich zur Mitarbeit ermuntert.

  • Frings, Marcus (Hrsg.): Der Modelle Tugend. CAD und die neuen Räume der Kunstgeschichte. Weimar 2001.
  • Marc Grellert: Immaterielle Zeugnisse. Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur. Bielefeld 2007 Verlagsseite


Weitere Links

(Links zu Firmen, Institutionen und Forschungsprojekten, für einzelne Visualisierungsprojekte bitte die Liste digitaler Modelle historischer Architektur verwenden)

  • Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion Homepage

Die Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion ging aus der 1. Jahrestagung der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (25.-28.02.2014, Universität Passau) hervor. Vorrangiges Ziel der Arbeitsgruppe ist es, die Akteure im deutschsprachigen Raum zusammenzubringen, um sich den Fragen der Begriffsklärung und der Arbeitsmethodik sowie der Dokumentation und der Langzeitarchivierung von digitalen Rekonstruktionsprojekten zu widmen.


Gegründet von Prof. Manfred Koob und Marc Grellert handelt es sich um eine der ältesten Unternehmungen in diesem Bereich, auf die viele Klassiker der digitalen Architekturvisualisierung zurückgehen wie die Räume des Vatikans oder die zerstörten Synagogen in Deutschland.


"Das Institut für Raumdarstellung beschäftigt sich mit Fragen der medialen Raumdarstellung und Abbildung. Wir verbinden die Erfahrung aus Forschung und Lehre mit der Praxis. Unser Spektrum reicht von der Bauaufnahme, über Architektursimulation, trans- und crossmediale Präsentation, bis zur Projektkoordination und Antragstellung auf dem Gebiet der Darstellung des zerstörten Kulturerbes mit den Informations- und Kommunikationstechnologien unserer Zeit."


"Forschungsschwerpunkt ist die Visualisierung archäologischer Hypothesen unter besonderer Berücksichtigung der Darstellung von Unschärfe im Wissen."


Zitat des Autors: "Unter “Archäologie 2.0″ finden sie einen Blog mit wissenschaftlichem Anspruch, in dem ich über die Themenkombination von Archäologie (und ihre benachbarten Bereiche), IT und Web. 2.0 blogge. Hier finden Sie Beiträge zur Anwendung von IT-Lösungen wie Laserscann, Datenbanken, 3D-Rekonstruktionen, Social Media usw. in der archäologischen Forschung und Wissensvermittlung."


  • ArchimediX, verantwortlich z.B. für die digitalen Modelle der Pfalz zu Ingelheim und des Domes zu Speyer


  • 25. März 2014, Italy in China. The Western Buildings in the Old Summer Palace Yuanmingyuan in Beijing - Workshop an der Bibliotheca Hertziana, Max-Plack-Institut für Kunstgeschichte, Datei:Program-YMY-Workshop-Rome.pdf (u.a. zu 3D-Rekonstruktionen)